Düşünce ve Kuram Dergisi

Nazis, Kontras, Dschihadisten Zur Entwicklung der Spezialkriegsdoktrin der USA und NATO

Von Dr. Nikolaus Brauns

Der Spezialkrieg ist ein Konzept, dass von den USA und dem von Washington dominierten Militärbündnis NATO nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der Dekolonisierung entwickelt wurde. Ziel war es, sozialistische Guerillas und nationale Befreiungsbewegungen zu bekämpfen, fortschrittlich-antiimperialistische Regierungen zu destabilisieren und eine weitere Ausbreitung kommunistischen Einflusses zu verhindern.

Technisch gesehen handelt es sich um unkonventionelle Kriegsführung – im Unterschied zu konventionellen Kriegen, die zwischen regulären Armeen von Nationalstaaten ausgetragen werden. Ein Handbuch für die Spezialeinheiten der US-Armee aus dem Jahr 2008 spricht diesbezüglich von „Operationen, die von, mit oder über irreguläre Kräfte zur Unterstützung einer Widerstandsbewegung, eines Aufstandes oder konventioneller Militäroperationen durchgeführt werden“[1]. Von US- und NATO-Militärs wird seit den 60er Jahren der Begriff der Counterinsurgency (Aufstandsbekämpfung) als weitgehendes Synonym für Spezialkrieg verwendet. Gemeint ist eine „Mischung aus umfassenden zivilen und militärischen Anstrengungen, die darauf angelegt sind, den Aufstand einzudämmen und gleichzeitig dessen Grundursachen anzugehen.“[2] Wo eine revolutionäre Organisation sich im Volk „wie der Fisch im Wasser“ (Mao Tsetung) zu bewegen sucht, zielt die Counteinsurgency primär auf die „Herzen und Köpfe“ der Bevölkerung, um die Aufständischen zu isolieren. Der Spezialkrieg besteht daher in einer Kombination aus militärischen und politischen Mitteln einschließlich einer starken psychologischen Komponente. Zentral ist allerdings die Gewalt in vielfältigen Formen. „Seit dem Zweiten Weltkrieg bilden Morde, Sabotage, Entführung, Folter, der Sturz ausländischer Regierungen und andere terroristische Aktivitäten einen organischen Bestandteil unserer nationalen Verteidigungspolitik. Dies wurde immer wieder als Notwendigkeit dargestellt, um kommunistische Aufstandsbewegungen, in jüngerer Zeit, Terrorismus zu bekämpfen – als die einzig effektive Antwort zu der Barbarei, die unseren Feinden zugeschrieben oder auf sie projiziert wurde, seien es die Sandinisten oder die PLO“[3], schreibt Michael McClintock in seiner 1992 erschienenen Untersuchung über die Counterinsurgency-Doktrin der USA.

Die USA lernten die Taktiken und Methoden der unkonventionellen Kriegsführung aus eigenen Erfahrungen bei der Unterstützung von Partisanenbewegungen in den von den Nazis und Japan besetzten Ländern im Zweiten Weltkrieg, aus den Erfahrungen ihrer britischen und französischen Verbündeten in Kolonialkriegen wie in Algerien – und insbesondere aus den Erfahrungen ihrer ehemaligen faschistischen Gegner! „Die amerikanische Spezialkriegsdoktrin würde sich erheblich auf die Methoden der Wehrmacht und der SS bei der Terrorisierung der Zivilbevölkerung und – vielleicht noch wichtiger – der Einbindung örtlicher Gruppierungen bei der Bekämpfung von Partisanenwiderstand stützen“[4], so Michael McClintock. Nach Kriegsende in amerikanische Dienste getretene ehemalige Offiziere der Nazi-Wehrmacht und Waffen-SS, die zuvor selber an Massenerschießungen von Zivilisten und Dorfzerstörungen im Rahmen der Partisanenbekämpfung in der Sowjet Union, Italien und auf dem Balkan beteiligt waren, wirkten so an der Ausarbeitung von US-Militärhandbüchern mit, in denen terroristische Methoden von Geiselnahme bis zu gezielten Morden zur Aufstands- und Guerillabekämpfung propagiert wurden.

Die Infrastruktur für den Spezialkrieg wurde bereits 1952 mit der Eröffnung des Zentrums für Psychologische Kriegsführung in Fort Bragg, North Carolina, geschaffen, das später den Namen Zentrum für Spezialkriegsführung (Special Warfare Center) erhielt. Bis heute befindet sich in Fort Bragg die zentrale Ausbildungsstätte für die Spezialkräfte der USA, ihrer NATO-Partner und anderer Verbündeter. Ab den 60er Jahren wurden zudem in den USA sowie auf den Philippinen, im japanischen Okinawa, in Panama und in Deutschland weitere Ausbildungsstätten eröffnet, in denen US-Militärs und der Geheimdienst CIA ausländische Partner in der Counterinsurgency schulten. Als „Folterschule“ berüchtigt war insbesondere die 1963 in Fort Gulick am Panama-Kanal eröffnete „Armeeschule der Amerikas“. Bis 1984 wurden hier von US-Ausbildern 45.000 lateinamerikanische Offiziere und Geheimdienstler aus 23 Ländern in den Techniken der Aufstandsbekämpfung ausgebildet. Zu den Absolventen dieser „Schule der Diktatoren und Folterer“ zählten Putschgeneräle wie Augusto Pinochet in Chile, Diktatoren wie Panamas Machthaber Manuel Noriega und Anführer von Todesschwadronen, wie General Roberto D’Aubuisson aus El Salvador, dessen Killer Erzbischof Oscar Romero ermordeten.

Ihren langjährigsten Spezialkrieg begannen die USA 1960 gegen Kuba. Gezielte Anschläge auf Revolutionsführer Fidel Castro, Ermordungen von Lehrern während der Alphabetisierungskampagne, Terroranschläge auf Zivilflugzeuge und Schiffe und Wirtschaftssabotage waren Elemente eines vom CIA koordinierten Krieges niederer Intensität, der in den ersten Jahren schon mehr als 3400 Todesopfer unter den Kubanern kostete. Eine US-gestützte Söldnerinvasion in der Schweinebucht scheiterte allerdings im April 1961 an der schnellen Mobilisierung der revolutionären Streitkräfte einerseits aber auch an der ausgebliebenen Unterstützung der kubanischen Bevölkerung für die Invasion der ehemaligen Folterer, Großgrundbesitzer und Mafiabanden. In den letzten Jahrzehnten setzten die USA insbesondere auf die wirtschaftliche Blockade der Insel – verbunden mit finanzieller Unterstützung marginaler konterrevolutionärer Zirkel auf Kuba selbst und rechter exilkubanischer Kontraverbände in den USA sowie einem massivem Propagandakrieg etwa mit dem von Miami aus in Richtung Kuba sendenden Radio Marti. Dass Kuba bis heute seinen sozialistischen und antiimperialistischen Kurs beibehält, zeigt zugleich die Grenzen der strategischen Wirksamkeit eines Spezialkrieges gegenüber einer politisch aufgeklärten, bewussten und organisierten Bevölkerung unter einer revolutionären Führung.

Die eigentliche Entwicklung der Spezialkriegsdoktrin begann Anfang der 60er Jahre unter US-Präsident John F. Kennedy. Kennedys militärischer Sonderberater General Maxwell Taylor entwickelte später als Chef des Vereinigten Generalstabs eine strategische Konzeption für einen „Spezialkrieg“, bevor er 1964 wurde als US-Botschafter nach Saigon entstand wurde, um diese in Vietnam in der Praxis umzusetzen. Taylor unterschied drei Kriegsformen, auf die sich die USA vorzubereiten hatten: auf den nuklearen Weltkrieg, auf begrenzte und lokale Kriege sowie auf Spezialkriege. Die Besondere von Spezialkriegen war, dass die USA als eigentlicher Aggressor keine eigenen Kampfverbände einsetzen, sondern einheimische Kräfte sowohl bei der Aufstandsbekämpfung zur Stützung verbündeter als auch zum Sturz gegnerischer Regime mit US-Beratern und Material unterstützt sollten. Dies sollte Kosten sparen und den Blutzoll der US-Armee niedrig halten, um politischen Widerstand gegen eine Kriegsbeteiligung in der Heimat zu vermeiden. Zudem sollte so eine direkte Konfrontation zwischen Streitkräften der NATO und des Warschauer Pakt mit unkalkulierbarem Eskalationspotential vermieden werden. Und schließlich ging es auch darum, durch den Einsatz einheimischer Kräfte den Anschein von ausländischer Einmischung zu vertuschen, um so Legitimität für die Aggressoren in den Augen der örtlichen Bevölkerung zu erzeugen „‘Spezialkrieg‘ ist also nur die militärische Ausdrucksform des Neokolonialismus – so wie das Expeditionskorps die militärische Ausdrucksform des klassischen Kolonialismus war. Während sich dieser jedoch zum Teil auf das eigene Militär der Kolonialmächte in Verbindung mit rekrutierten Kolonialsoldaten und solchen Einsatzgruppen wie der französischen Fremdenlegion stützte, liefern die Amerikaner im ‚Spezialkrieg‘ die Waffen und die Dollars, die Flugzeuge und die Piloten, das strategische und das taktische Kommando – einschließlich ‚beratender‘ Offiziere bis hinunter zur Kompanie-Ebene – also faktisch alles mit Ausnahme des ‚Kanonenfutters‘“[5], schrieb der australische Journalist Wilfred G. Burchett, der 1963 nach Vietnam gereist war, um eingebettet in die Nationale Befreiungsfront „von der anderen Seite“ über diesen ersten großen Praxistest für Taylors Spezialkriegs-Konzept zu berichten.

 

Spezialkrieg in Indochina

US-Spezialkräfte führten seit dem Frühjahr 1961 bereits verdeckte Sabotage- und Mordoperationen gegen die Nationale Front für die Befreiung Südvietnams (NFB) in Südvietnam, auf dem Gebiet der Demokratischen Republik Vietnam sowie im benachbarten Laos durch. Doch den entscheidenden Beitrag im Kampf gegen die Guerilla sollten nach Ansicht einer von General Taylor und dem Wirtschaftswissenschaftler Walt Whitman Rostow geleiteten Kommission die Truppen des südvietnamesische Vasallenregime unter Ngo Dinh Diem in Saigon leisten. Hierzu entsandten die USA zehntausende Militärberater nach Südvietnam. Der CIA begann Ende 1961 damit, die Angehörigen der Bergstämme in der südvietnamesischen Provinz Darlac in sogenannten Selbstschutzgruppen zum Kampf gegen die Befreiungsfront zu formieren und stellte umfangreiche Mittel zum Aufbau konterrevolutionärer Spezialverbände unter dem Kommando von Diems Bruder Ngo Dinh Nhu bereit. Diese Verbände führten gemeinsam mit der Geheimpolizei in Saigon subversive Aktionen zur Diskreditierung der Befreiungsfront durch, spürten deren vermeintliche Anhänger auf und verhörten, folterten und ermordeten sie. Die Taylor-Rostow-Mission erkannte auch die psychologische Komponente einer erfolgreichen Guerillabekämpfung. Um die soziale Basis des als Familiendiktatur herrschenden Diem-Regimes auszuweiten, forderte die Kommission ein Programm beschränkter sozialer Reformen wie der Streichung eines Teils der Schulden der Bauern sowie verbesserter schulischer und medizinischer Versorgung auf dem Lande. Um die Verbindungen zur Guerilla abzuschneiden, ordnete die Regierung in Saigon im August 1962 auf Grundlage eines vom Nationalen Sicherheitsrates der USA entwickelten „Strategischen Konzepts für Vietnam“ die Umsiedlung der Landbevölkerung in sogenannte Strategische Dörfer an. US-Militärberater, CIA-Mitarbeiter und Vertreter der zivilen US-Auslandshilfe-Organisationen hatten die Vollmacht, die Kontrolle über die Zwangsumsiedlungen auszuüben. Bis Oktober 1963 waren bereits 8,7 Millionen Vietnamesen in über 7200 solcher mit Stacheldraht und Minen gesicherter Siedlungen umgesiedelt worden, so dass sich das Saigoner Regime bereits rühmte, dass „alle Maßnahmen des Feindes der Nation blockiert und die Grundlagen seiner Organisation erschüttert wurden“. Doch die gewaltsam in die „Strategischen Dörfer“ gezwungenen Bauern leisteten immer erbitterteren Widerstand. Unterstützt von der Guerilla der kam es in zahlreichen Dörfern zu Aufständen gegen die sich als „Beschützer“ aufspielenden die Soldaten Saigons. Die von der US-Armee mit Kampfhubschraubern unterstützte Armee Saigons zeigte sich angesichts der beweglichen und initiativreichen Guerillakriegsführung unfähig, auch nur eine der Hauptregionen  militärisch zu befrieden. Zudem erwies sich das Regime aufgrund seines ganzen Klassencharakters als unfähig, auch nur ein minimales Programm sozialer Reformen umzusetzen. Während Protesten in den Städten zunahmen, stieg die Zahl der Deserteure aus der Saigoner Armee steil an und vielerorts lösten sich die konterrevolutionären Spezialeinheiten auf. „Die imperialistischen Kräfte gestanden sich in keiner Weise ein, dass der Fehlschlag ihres konterrevolutionären Konzepts ebenso gesetzmäßig war wie das Erstarken der NFB als einer machtvollen Organisation, die konsequent auf die Entfaltung des revolutionären Kampfes orientierte. Sie wollten nicht zugegen, dass die NFB gegenüber einem materiell-technisch weit überlegenen Gegner auch deshalb erfolgreich blieb, weil ihr Programm immer wieder die breite Unterstützung der vietnamesischen Bevölkerung fand“, heißt es in einer vom Militärverlag der DDR veröffentlichten Untersuchung zum Scheitern Spezialkrieges der USA als strategische Option in Indochina.[6] Unter Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson gingen die USA zum „lokal begrenzten Krieg“ mit der Ausweitung des Krieges durch großflächige Luftangriffe auf die Demokratische Republik Vietnam und schließlich dem massivem Einsatz von US-Soldaten über. Der hohe Blutzoll, den die amerikanischen Wehrpflichtigen bezahlen mussten, war ein wesentlicher Grund für das Entstehen einer breiten Antikriegsbewegung in den USA, die gemeinsam mit dem aufopferungsvollen Widerstand des vietnamesischen Volkes den Rückzug der USA aus Vietnam 1973 erzwang. Nach diesem vorläufigen Scheitern des Spezialkriegs als Strategie fand dieser erst wieder in den 1980er Jahren unter Präsident Ronald Reagan ein Revival. Zu nennen wären hier u.a. der brutale Contra-Krieg gegen das sandinistische Nicaragua und blutige Aufstandsbekämpfungskampagne gegen die linke Guerilla in El Salvador sowie die US-Unterstützung für die islamistische Mudjahedin in Afghanistan nach dem sowjetischen Einmarsch.

 

Gladio und die Strategie der Spannung

Ganz von der Bildfläche verschwunden war der Spezialkrieg in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre nicht. Er hatte sich nur nach innen in die NATO-Staaten selbst verlagert. Insbesondere in Italien und der Türkei wurde eine geheime Schatten-Armee der NATO aktiv, die nach ihrer Aufdeckung 1990 unter dem Namen ihres italienischen Ablegers Gladio bekannt wurde. In den europäischen NATO-Staaten einschließlich der Türkei sowie einigen neutralen Ländern wie Schweden, Finnland, Österreich und der Schweiz existierten teilweise seit Ende der 1940er Jahre geheime bewaffnete Gruppen eines Stay-Behind-Netzwerkes. Dessen „offizielle“ Aufgabe war es, im Falle eines sowjetischen Einmarsches den Widerstand in den besetzten Ländern aufzunehmen. Diese Truppe, deren Leitung beim Allied Clandestine Commitee (ACC, auch Allied Coordination Commitee) als NATO-Abteilung für verdeckte Kriegsführung sowie dem „Clandestine Planing Comitee“ beim Supreme Headquarters Allied Powers Europe (Shape) in Brüssel lag, beruhte auf Geheimverträgen beim Beitritt zur NATO. Gegenüber den Parlamenten der Mitgliedsstaaten wurde die Existenz von Gladio, das aus Schattenhaushalten der Geheimdienste finanziert wurde, verschwiegen. Die durch US-Special Forces und britische SAS-Einheiten ausgebildeten NATO-Paramilitärs rekrutierten sich aus strikt antikommunistischen Kräften, darunter ehemalige Waffen-SS-Mitglieder in Deutschland und Mussolini-Faschisten in Italien sowie Graue Wölfen in der Türkei. Sorge bereitete den NATO-Strategen die starken kommunistischen und sozialistischen Parteien in einigen europäischen Staaten. Insbesondere im Falle eines Wahlsieges der Linken in Italien wurde eine Schwächung der NATO von innen heraus befürchtet. Dort ging Gladio in den 70er Jahren zu einer „Strategie der Spannung“ über. Mit Terroranschlägen sollten die linken Parteien diskreditiert und die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt werden, um so den Ruf nach einen starken Staat zu fördern und eine autoritäre Rechtsregierung an die Macht zu bringen. Gladio verschleppte, folterte und ermordete Menschen, manipulierte Medien und zersetzte oppositionelle Gruppierungen. Der blutigste Anschlag erfolgte am 2. August 1980 auf den Bahnhof von Bologna mit 84 Toten. „Diese Massaker wurden organisiert oder unterstützt von Menschen in Institutionen des italienischen Staates und Männern, die mit dem amerikanischen Geheimdienst in Verbindung standen“, stellte eine Untersuchungskommission des Senats in Rom im Jahr 2000 fest.

Die meisten Todesopfer kostete die Strategie der Spannung in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre in der Türkei. Der dortige Gladio-Ableger war bereits 1953, ein Jahr nach dem NATO-Beitritt der Türkei, als „Anti-Terror-Organisation“ gegründet und im selben Gebäude wie die US-Militärmission untergebracht worden. 1964 wurde diese Struktur unter dem neuen Namen „Amt für spezielle Kriegsführung“ direkt dem Generalstab unterstellt. Die als Counter-Guerilla bekannten operativen Einheiten rekrutierten sich größtenteils aus den Reihen der Grauen Wölfe, der paramilitärischen Jugendorganisation der MHP. Deren Anführer, Ex-Oberst Alparslan Türkes, hatte in den 1950er Jahren selber in den USA eine Spezialkriegsausbildung absolviert. Als Grundlage für die Tätigkeit der Spezialkriegsbehörde diente eine aus einem US-Handbuch über unkonventionelle Kriegsführung wörtlich abgeschriebene Order, die die Bildung von geheim operierenden Gruppen vorsah. Zu deren Aufgaben gehörten Morde, Anschläge, Überfälle, Folter, Entführungen, Sabotage und Desinformationspolitik. Von Mitte der 1970er Jahre bis zum Putsch am 12. September 1980 starben rund 5000 Menschen – mehrheitlich Anhänger der Linken, Gewerkschafter, Aleviten und Kurden – bei bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Mit Überfällen, dem Massaker auf dem Taksim Platz am 1. Mai 1977, dem Pogrom an Aleviten in Maras 1978 und gezielten Morden unter anderem am sozialistischen Gewerkschaftsführer Kemal Türkler bereitete die Counter-Guerilla in der verunsicherten Bevölkerung die Stimmung für den 12. September-Putsch vor. Anführer dieses Putsches, mit dem die starke Linke und Arbeiterbewegung blutig zerschlagen und ein autoritär-neoliberales Akkumulationsregime durchgesetzt wurde, war der Leiter des Amtes für Spezielle Kriegsführung General Evren, der sich später zum Staatschef ernannte. Während mit dem Ende des Kalten Krieges die Gladio-Einheiten in den europäischen Ländern aufgelöst wurden, wenn auch in den meisten Fällen eine öffentliche Aufarbeitung verhindert wurde, blieb die Counter-Guerilla in der Türkei weiter aktiv. Die irregulären Kräfte verlegten ihr Tätigkeitsgebiet nun vor allem in die kurdischen Landesteile und verschmolzen vor dem Hintergrund des schmutzigen Krieges zunehmend mit der Mafia.

 

NATO im Dschihad

Unter einigen liberal orientierten Kommentatoren westlicher Medien hat die nachweisliche Kooperation der türkischen NATO-Armee mit Islamisten wie dem Al-Qaida-Ableger HTS und selbst dem Islamischen Staat (IS) in Syrien und dem Irak zu Irritationen geführt. Schließlich steht die NATO seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA erklärtermaßen in einen weltweiten „Krieg gegen den Terror“. Doch die Türkei bewegt sich in ihrer Bündnispolitik mit den Dschihadisten in eingefahrenen Gleisen. Denn die USA und NATO haben sich seit den 80er Jahren immer wieder islamistischer Kräfte als Hilfstruppen zur Durchsetzung ihrer geopolitischen Ziele bedient. 1979 ordnete US-Präsident Jimmy Carter eine verdeckte Unterstützung von islamistischen Gegnern der linken säkularen Regierung in Afghanistan an. Ziel sei es gewesen, so einen sowjetischen Einmarsch zu provozieren, damit „die Russen in die afghanische Falle tappten“ und „ihren Vietnamkrieg“ bekämen, bekannte Zbigniew Brzezinski, der Berater des US-Präsidenten für Fragen der nationalen Sicherheit, später freimütig. Unter Carters Nachfolger Ronald Reagan wuchs die über den pakistanischen Geheimdienst vermittelte Unterstützung der Mudschaheddin mit Waffen und Geld zur größten verdeckten Operation in der Geschichte des CIA an. Zwischen 1982 und 1992 wurden rund 35.000 Dschihadisten aus 40 Staaten für den „Dschihad“ gegen die Sowjetunion angeworben. In wahabitischen Koranschulen in Pakistan, die mit saudischen Geldern finanziert wurden, fand erst die ideologische Indoktrination der Freiwilligen statt, anschließend durchliefen sie in den vom pakistanischen Geheimdienst unterhaltenen Ausbildungscamps das vom CIA angeleitete Guerillatraining. Ein erfolgreicher Werber für neue Gotteskrieger war der wohlhabende saudische Unternehmersohn Osama bin Laden. Mit dem Rekrutierungsbüro für die Mudschaheddin (MAK) existierte seit Mitte der 80er Jahre die operative Basis, aus der Anfang der 90er Jahre die von bin Laden geführte al-Qaida entstand. „Al-Qaida, wörtlich `die Datenbank´, war ursprünglich eine Computer-Datei mit den Tausenden Mudschaheddin, die mit Hilfe des CIA rekrutiert und trainiert wurden, um die Russen zu besiegen“, enthüllte der frühere britische Außenminister Robin Cook am 7. Juli 2005 im Guardian. Brzezinskis Plan ging auf. Der zehnjährige verlustreiche Krieg am Hindukusch trug wesentlich zum Zusammenbruch der sowjetischen Herrschaft bei.

Ab 1992 strömten die islamistischen Kämpfer aus Afghanistan nach Jugoslawien, wo ein blutiger Bürgerkrieg tobte. Wieder trafen sich die taktischen Interessen der NATO, die das widerständige Restjugoslawien unter dem serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic in die Knie zwingen wollte, mit denen der al-Qaida. Mit Billigung von US-Präsident Bill Clinton wurden rund 4000 Al-Qaida-Kämpfer von der bosnisch-muslimischen Armee bewaffnet und ausgebildet, während NATO-Kampfflugzeuge den dschihadistischen Stoßtrupps Luftunterstützung gaben. Natürlich verstand sich die al-Qaida niemals als Söldnertruppe der NATO. Die USA wurden von den Islamisten vielmehr als der strategische Feind gesehen, was taktische Allianzen wie in Afghanistan und Bosnien nicht ausschloss. Nach den Anschlägen der al-Qaida auf das World Trade Center und das Pentagon vom 11. September 2001 marschierten NATO-Truppen in Afghanistan ein. Dort hatten mit den Taliban die „Schüler“ aus den mit saudischer und CIA-Hilfe in den 80er Jahren geschaffenen pakistanischen Medresen mittlerweile die Herrschaft errungen. Während die Obama-Administration ihren Drohnenkrieg gegen al-Qaida in Afghanistan und Pakistan weiter eskalieren ließ, kam es ab 2011 im Mittleren Osten und Nordafrika bereits wieder zum taktischen Schulterschluss zwischen der NATO und den Dschihadisten. So bildeten libysche Al-Qaida-Anhänger 2011 die militärisch erfahrenste Speerspitze des Aufstandes gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi. Luftunterstützung bekamen die islamistischen Kämpfer von der NATO. Auch in Syrien zögerten die USA und ihre Verbündeten – insbesondere die Türkei und die Golfstaaten – nicht, dschihadistische Kämpfer zum angestrebten Sturz des Regimes von Präsident Bashir al-Assad aufzurüsten. So bezeichnete der Geheimdienst des Pentagon (DIA) bereits 2012 „die Salafisten, die Muslimbruderschaft und die AQI (al-Qaida im Irak)“ als die „Hauptantriebskräfte für den Aufstand in Syrien“. Die DIA ging von der „Möglichkeit der Schaffung eines sich konstituierenden oder nicht offiziell erklärten salafistischen Kalifats im Osten Syriens“ aus. Dass sei „genau das, was die Unterstützer der Opposition wollen, um das syrische Regime zu isolieren und die schiitische Expansion im Irak durch Iran einzudämmen“, verwies die DIA auf die strategische Chance für die geopolitischen Ziele des Westens, der Golfstaaten und der Türkei. Als aus einem Teil der al-Qaida der Islamische Staat (IS) entstand und sein grenzübergreifendes Kalifat ausrief und damit begann, mit Anschlägen in europäischen Ländern auch die Sicherheit der westlichen Welt zu gefährden, stellten sich die USA 2014 an die Spitze einer internationalen Anti-IS-Koalition. Denn nun galt es, die unkontrollierbar gewordenen Dschihadisten wieder einzudämmen. Der Kampf gegen Schläferzellen des IS wird von den US-Truppen auch heute nach der Zerschlagung der territorialen Herrschaft des IS als Legitimation zum weiteren Verbleib in Nordsyrien angeführt.

 

Schmutziger Krieg in Kurdistan

Als Musterschüler der US-Spezialkriegsdoktrin erwies sich die Türkei, die dabei zugleich auf eigene bis zu den Jungtürken in osmanischen Reich zurückreichende Erfahrungen zurückgreifen konnte. In den kurdischen Landesteilen im Osten der Türkei führte die Armee bereits seit Beginn des bewaffneten Kampfes der Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans PKK Mitte der 80er Jahre einen Spezialkrieg. Dabei setzte die Armee auf systematische Räumungen und Zerstörungen von rund 4500 Dörfern, um die Guerilla von der Bevölkerung zu isolieren. Unter Ausnutzung feudaler Stammesstrukturen rekrutierte und bewaffnete der Staat zehntausende sogenannte Dorfschützer, die oft aus den Stammeskriegern der mit den Regierungsparteien verbundenen Clanchefs bestanden, gegen die PKK. Ein weiteres Element des Spezialkrieges waren Morde „unbekannter Täter“, denen rund 17.000 kurdische Zivilisten, darunter Politiker legaler kurdischer Parteien wie der HADEP und Intellektuelle wie den Schriftsteller Musa Anter zum Opfer fielen. Die Todesschwadronen des selbst nach türkischen Gesetzen illegalen Gendarmeriegeheimdienstes Jitem rekrutierten sich aus haftentlassenen Verbrechern mit Verbindungen zu den Grauen Wölfen. Dazu kam die kurdisch-sunnitische Terrororganisation Hisbollah, die unter dem Schutz des Staates die vermeintlich ungläubigen Anhänger der Befreiungsbewegung ermordete. Als besonderes Element des Spezialkrieges wurde von den irregulären Konterguerillakräften systematische sexuelle Gewalt gegen Frauen angewandt.

Der türkische Spezialkrieg in Kurdistan wurde und wird mit Rückendeckung und Koordination der NATO geführt. Insbesondere Deutschland liefert nicht nur die Waffen für diesen schmutzigen Krieg sondern versucht mit dem PKK-Verbot auch, die politische und finanzielle Unterstützung für die Befreiungsbewegung unter der kurdischen Diaspora abzuschneiden. Heute führt die Türkei, die Gebiete in Nordsyrien besetzt hält, von dort einen geradezu lehrbuchmäßigen Krieg niederer Intensität gegen die Autonome Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien. Artilleriebeschuss von Dörfern, Verschleppungen von Zivilisten, Attentate auf Stammesführer mit dem Ziel, die verschiedenen ethnisch-religiösen Komponenten der Region gegeneinander aufzuhetzen, das Verbrennen der Ernte und die Blockade der Trinkwasserversorgung sind alles Elemente dieses geradezu lehrbuchmäßig geführten Spezialkrieges. Dabei stützt sich die Türkei auf eine Söldnerarmee aus Dschihadisten einschließlich früherer IS-Mitglieder unter dem Kommando des türkischen Gemeindienstes. Mit den USA, die in Nordsyrien eine taktische Allianz mit den Syrisch-Demokratischen Kräften (SDF) gegen den IS eingegangen sind, ergeben sich allenfalls taktische Differenzen. Denn im strategischen Ziel der Vernichtung der kurdischen Befreiungsbewegung als Motor der Revolution im Nahen- und Mittleren Osten sind sich die NATO-Verbündeten einig. Gleichzeitig erscheint es nur als eine Frage der Zeit, wann die NATO die unter türkischem Schutz im Norden Syriens aufgestellte zehntausendköpfige islamistische Söldnerarmee, darunter zahlreichen Uiguren und Kaukasier, für einen neuen Spezialkrieg gegen China und Russland als strategische Gegner des Westens in Marsch setzen wird.

 

 

[1] US-Army Field Manual 3-05.130.

[2] U.S. Government Counterinsurgency Guide, Januar 2009.

[3] Michael McClintock: Instruments of Statecraft: U.S. Guerilla Warfare, Counterinsurgency, Counterterrorism, 1940-1990, New York 1992.

[4] McClintock, S.59.

[5] Wilfried G. Burchett, Partisanen kontra Generale, Berlin/DDR 1965.

[6] Angelika Bator: USA-Politik gegen Asien: Strategische Grundzüge nach dem zweiten Weltkrieg, Berlin/DDR 1986, S.108f..

 

 

 

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